Archiv der Kategorie: 3.06 – Die Schanghai-Kobra

Die Jukebox mit dem Schlangengift

The Shanghai Cobra - Poster

Produktion: Mai / Juni 1945

Im September jährt sich die Premiere von »Die Shanghai Cobra« (The Shanghai Cobra, 1945) zum achtzigsten Mal. Ja, und? Wird hier nicht der übliche Krimi-Plot abgespult?

Der zuständige Inspektor ruft seinen alten Freund Charlie Chan zur Hilfe. In einem Banksafe wird Radium für die Regierung gelagert. Kürzlich starben drei Bankangestellte kurz nacheinander an Kobragift. Acht Jahre vorher nahm Charlie in Shanghai einen Kobragift-Mörder fest, doch dem gelang es zu fliehen …

Erst auf den zweiten Blick wird klar, warum einige Zuschauer in diesem Chan-Krimi etwas besonderes sehen. Der Film des kleinen Studios »Monogram Pictures« bot seinem Publikum damals eine ungewöhnliche Mischung, mit der er innerhalb des Charlie-Chan-Kosmos heute noch heraussticht: Atmosphäre, exotische Technik, Historie und Visionäres.

Erkennbare Handschrift

Le Cobra de Shanghai - Frankreich, 1947

Le Cobra de Shanghai – Frankreich, 1947

Vor der Kamera stand das bewährte Team um Sidney Toler als Charlie Chan, doch Regie führte erstmals Phil Karlson. Trotz schmalem Budgets der MONOGRAM Studios inszenierte er eine bemerkenswerte Eröffnungssequenz im Stil des Film Noir.
Nicht nur daran kann man sehen, welch visuelle Dichte ein fähiger Regisseur aus einem mittelmäßigen Drehbuch herausholen kann. Karlson brachte diese Ästhetik in eine schon recht formelhafte Serie, auch wenn sich am Ende nicht alles zu einem harmonischen Ganzen fügen wird.
Seine Fähigkeiten blieben nicht unbemerkt und ab Ende der 1940er Jahre arbeitete Karlson regelmäßig für Columbia und United Artists. Dort machte er durch hartkantige Klassiker wie »Der vierte Mann« (Kansas City Confidential; 1952) oder »Taxi 539 antwortet nicht« (99 River Street; 1953) von sich reden.

Schatten der Vergangenheit

Sanghajzka Kobra - Tschechoslowakei, 1947

Sanghajzka Kobra – Tschechoslowakei, 1947

Während Charlies Ermittlungen führen Rückblenden den Zuschauer in das von Kolonialmächten besetzte Shanghai der 1930er Jahre. Japan, das seit 1931 Teile Chinas besetzt hielt, okkupierte 1937 weite Küstenteile. Das im Film aufgegriffene Bombardement Shanghais traf einen geopolitischen Brennpunkt.

Für das Publikum jener Zeit waren die historischen Bezüge präsent – heute sind sie weitgehend vergessen. Obwohl im Film nur als Hintergrund eingesetzt, zeigt sich, dass die Faszination des verklärten Fernen Ostens aus den 1930er Jahren auch im Hollywood der Nachkriegszeit fortlebte.

The Shanghai Cobra - Plakate

Musikträume per Telefon

The Shanghai Cobra - LobbycardEine Jukebox, mit der man spricht, um ein Lied auszuwählen – heute, in Zeiten von Sprachassistenten nicht spektakulär. Aber: Gab es so etwas wirklich in den 1940ern?
Tatsächlich legte die Draht-Musik (Wired Music) in diesem Jahrzehnt eine kurze Karriere hin und mehrere Anbieter wetteiferten in den USA. Dazu brauchte es nicht unbedingt einen großen Schrank wie in Joe’s Coffee Shop. Kleine Tischgeräte genügten, um individuelle Musik am Sitzplatz zu ermöglichen.
Cobra de Shanghai - Feuille d'avis Monthey 1949-11-08Auf Münzeinwurf meldete sich eine Bedienung, zumeist weiblich, und fragte nach dem Musikwunsch. Den wählte man wie auf einer Speisenkarte aus, teilweise ließen sich freie Wünsche äußern.
Die DJ legte die Platte auf und die Musik ertönte per Telefonleitung übertragen aus dem Lautsprecher beim Kunden.
Die mangelnde Klangqualität verhinderte wohl den großen Durchbruch und über die Jahre verschwanden die meisten Anbieter wieder.

Utopische Einflüsse

CineRex Shanghai Cobra - Escher Tageblatt 1948-08-20

Shanghai Cobra – Luxemburg, 1948

Die mit Schlangengift präparierte Nadel am Automaten hat schon etwas phantastisches an sich. Was, wenn der Hersteller in das Gerät heimlich eine Kamera einbaut? Technik als Mittel zur Überwachung war in Kriegszeiten virulent!

Ein weiteres Beispiel, wie in einem 1940er-Jahre Film mit Science-Fiction geflirtet wird, ist das Radium, nach dem die Gangster gieren. Obwohl unklar ist, was sie damit anfangen könnten, genügt es, um eine diffuse Gefahr heraufzubeschwören.

Shanghai-Kobra Liechtensteiner Volksblatt 50-07-04

Shanghai-Kobra Liechtensteiner Volksblatt 50-07-04

Radium kann beim Zünden einer Atombombe Neutronen für die nukleare Kettenreaktion liefern. Radioaktive Stoffe kannte das Publikum der Filmpremiere (29.9.1945): Über Hiroshima und Nagasaki waren keine acht Wochen zuvor Nuklearwaffen eingesetzt worden.
Hier traf das im Frühjahr entstandene Drehbuch einen Nerv, wo es ansonsten leider oft schwächelte, etwa indem es die Chan-Assistenten Tommy und Birmingham planlos auf die Straße und in Kanäle schickte.

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The Shanghai Cobra - Aushangbild»Die Shanghai Cobra« ist weit weg von einem perfekten Film. Er ist ein Kaleidoskop aus Krimi, Musiktechnik, kolonialen Phantasien, Zukunftsvisionen und filmischem Stilwandel.
Damit ist er sicher einer der ungewöhnlichsten Charlie-Chan-Filme überhaupt. Ein Werk, das mehr bietet, als man von Monograms B-Movies im Allgemeinen erhoffen kann.

“Die Shanghai-Kobra” – Die Kritiken

The Shanghai Cobra - TitleDer Einstieg in den Film, wird gerne gelobt. Auch die Atmosphäre in Joes Imbiss allgemein.
Die Atmosphäre in den Kanälen unter der Stadt ist leider eher lachhaft, so wie der Einsatz von Tommy und Birmingham.

Die Kritiker sind ebenso heftig gespalten.

The Shanghai Cobra - Lobbycard 4»Variety« empfand den Film einfach nur lahm und geschwätzig. Viel Dialog solle wohl witzig sein, langweile aber jeden der älter ist als acht.
Ken Hanke (»Charlie Chan at the Movies«, McFarland & Co, 1989) sieht Monogram in Reichweite von Fox und immerhin den vielleicht besten Monogram Chan.
Charles P. Mitchell (»A Guide to Charlie Chan Films«, Greenwood, 1999) schenkt dem Film Adjektive wie solide und atmosphärisch.
»Leonard Maltins Movie Guide« (Plume, 2005) findet den Film mittelmäßig und somit Standard für die Monogram-Serie.

Allerlei zu “Die Shanghai-Kobra”

The Shanghai Cobra - Poster 2Originaltitel: »THE SHANGHAI COBRA« (dt. wörtlich übersetzt)
Laufzeit: 64 Minuten

Produktionszeitraum: Ende Mai bis Mitte Juni 1945
Copyright: Monogram Pictures Corporation, 5. August 1945

Premiere: 29. September 1945

Charlies beste Sprüche:

  • Vorfahren sagen: Auch weise Männer können das Lächeln einer Frau nicht ergründen.
  • Kann nicht Bärenfell verkaufen bevor erlegt Bär.
  • Mäuse spielen nicht so lange Katze im Haus.

Es spielen:

Sidney Toler [Charlie Chan]
Mantan Moreland [Birmingham Brown]
Benson Fong [Tommy Chan]
James Cardwell [Ned Stewart]
Joan Barclay [Paula Webb]
Addison Richards [John Adams]
Arthur Loft [Bradford Harris]
Janet Warren [Lorraine, Studio-Angestellte]
Gene Stutenroth [Mr. Morgan]
Joe Devlin [Mr. Taylor]
James Flavin [H.R. Jarvis]

Wo kann man die Schauspieler hierzulande noch sehen?

Arthur Loft spielte bereits in “Charlie Chan beim Geheimdienst” mit, dasselbe gilt für Gene Roth alias Gene Stutenroth.
Addison Richards können wir in „Charlie Chan in Panama“ sehen, aber auch in Streifen wie „Dick und Doof in geheimer Mission“, „Alarm im Pazifik“, „Ich kämpfe um dich“, „Die zehn Gebote“ und als Gaststar in Serien wie „Bonanza“ oder „Auf der Flucht“.
Janet Warren war im Vorgängerfilm “Die Jademaske” dabei, aber auch in „Abbott und Costello unter Kannibalen“ oder „Zaubernächte in Rio“.
Joe Devlin kann man in einer (leider nie synchronisierten) Chan-Nachahmerserie sehen: „The Mystery of Mr. Wong“. Daneben aber auch in „Mr. Smith geht nach Washington“, „Noch ein dünner Mann“, „Der Schatten des dünnen Mannes“, „Abbot und Costello in Hollywood“ oder „Abbott und Costello als Gangsterschreck“.
James Flavin schauspielerte sich schon durch „King Kong und die weiße Frau“ ehe er bei „Charlie Chan beim Pferderennen“, „Charlie Chan am Broadway“ oder „Charlie Chan in Honolulu“ mitmachte. Es folgten Filme wie „Orchid, der Gangsterbruder“, „Mr. X auf Abwegen“, „Der Schatten des dünnen Mannes“, „Das Lied des dünnen Mannes“ oder „Piraten im Karibischen Meer“.
Roy Gordon kann man in „Der Auslandskorrespondent“, Walter Fenner beispielsweise in „Noch ein dünner Mann“.

Die Shanghai-Kobra (worum gehts?)

(THE SHANGHAI COBRA, USA, 1945, Monogram Pictures Corporation)

Als binnen kurzem der dritte Bankangestellter ermordet wird, ruft der Inspektor seinen alten Freund Charlie Chan zur Hilfe, denn auch die Regierung hat ein Interesse an dem Fall, da in den Banksafes Millionenwerte lagern. Verdächtig ist ein Korbragift-Mörder den Charlie schon 8 Jahre vorher in Schanghai festnahm, der damals aber untertauchte …

The Shanghai Cobra - DVD

An einem verregneten Abend wartet Chefsekretärin Paula Webb vor der Bank, bis der Angestellte Samuel Black herauskommt, und folgt ihm zu Joes Coffee Shop, einem nahen Imbiss. Wenig später kommt Ned Stewart dazu, der Paula vom Auto aus beobachtet hatte. Black geht zur Jukebox, die über Kamera und Gegensprechanlage mit einem Studio verbunden ist, von dem aus die Musik eingespielt wird. Dort hat man das gewünschte Lied, „Die blaue Donau“, nicht vorrätig. Black erhält sein Geld zurück und streitet mit Paula, woraufhin sich Stewart einmischt. Black verlässt den Imbiss. Paula folgt ihm schnell und bittet Stewart ihren Kaffee zu bezahlen.
Draußen trifft Black sich mit Paula und erklärt, er habe nicht vor Zeugen mit ihr reden wollen. Doch mehr erfährt sie nicht, da der Mann tot zusammenbricht. Stewart kommt hinzu und Paula bittet ihn den Mann wiederzubeleben, während sie einen Arzt herbeiruft. Immer mehr Leute drängen heran, Stewart folgt Paula in den Imbiss, den sie jedoch durch die Hintertür verlassen hat.

Dies war der dritte Mord mit Kobragift an Angestellten der »Sixth National Bank« binnen kurzer Zeit. Der Polizeiinspektor erfährt, dass acht Jahre zuvor in Schanghai ähnliche Morde stattfanden und sein alter Freund Charlie Chan dort involviert war. Er bittet ihn um Hilfe.
Charlie lässt sich nicht lange bitten, da die Regierung eine Menge Radium in den Tresoren der Bank lagert. Er erzählt von den Vorgängen in Schanghai und der Verhaftung eines gewissen Jan van Horn, der bei einem japanischen Bombenangriff schwer verletzt wurde. Seine Gesicht ist daher nicht bekannt. Bei der Überführung in die USA sprang er über Bord und entkam.
Charlie besucht zunächst die Bank und besichtigt mit deren Präsident die Stahlkammern. Alles ist in Ordnung und der Detektiv macht sich zusammen mit Tommy und Birmingham auf zu Joes Coffee Shop, dem Imbiss gegenüber. Der Inhaber kann sich an nichts Besonderes erinnern, aber die Frau im Jukeboxstudio hört auch jetzt mit und meldet sich. Sie erinnert sich an den Namen „Ned Stewart“.
Über das Telefonbuch findet Charlie die Adresse dieses Privatdetektivs und der Mann kommt nach kurzem Gespräch mit zur Polizei. Er sollte die Frau, die sich mit Black traf, im Auftrag eines Unbekannten beschützen. Das Honorar erhielt er per Postanweisung.
Die Polizei suchte bisher vergeblich nach der Frau und Charlie beschließt, sie über einen Trick zu finden …