Alfred Andriola (1912 – 1983) hatte immer schon viel gezeichnet und heuerte nach seinem Studium anno 1935 bei Milton Caniff (»Terry und die Piraten«) an. Als das McNaught Syndicate 1938 einen Zeitungscomic rund um Charlie Chan herausbringen wollte, bewarb sich Andriola darum und bekam den Zuschlag.
Tatsächlich wurden seine Handvoll Bewerbungs-Strips in einigen Zeitungen schon vorab veröffentlicht, obwohl sie keine Auflösung und Zusammenhang zum Rest hatten.
Die Idee zu Charlies wiederkehrendem Ausruf »Haie!« von Andriola ist etwas gewöhnungsbedürftig, doch ansonsten lehnte er sich stark an die Filmserie an, um den Lesern zu geben, was sie mochten.
Chan ist graphisch Hauptdarsteller Warner Oland nachempfunden und sein ältester Sohn heißt auch Lee und trägt zumindest anfangs Züge von Keye Luke. In frühen Strips kommt zudem Sohn Barry vor, der nach Layne Tom, Jr. gestaltet wurde, der zu unterschiedlichen Zeiten die Söhne Charlie und Tommy, später auch Willie darstellte.
Lee wird nie von seinem Vater abgekanzelt, wie Söhne später in der Serie, und sein jugendliches Englisch bereitet Charlie gelegentlich Ohrschmerzen. Die Schauplätze wechseln wie in den Filmen und wiederholt sah man Romanzen oder Pärchen-Kabbelei. Auch wenn die Abenteuer nicht alle von hoher Qualität sind, bleiben zumindest die Kriminalfälle eher glaubwürdig. Dass Chan öfters Kampfsporttechniken nutzt, um Gegner zu entwaffnen, ist nicht exklusiv Comic, kommt aber in keinem der existierenden Filme so vor. Vom Ausgangspunkt London (Täglicher Comic-Strip) bzw. Honolulu (Sonntags-Comicblock) bereist Charlie v.a. die USA und macht einige Ausflüge in fiktionale Orte Südamerikas.
Mit fortschreitender Erscheinungsdauer häufen sich Spionagefälle. Einige Male wird es abseitig, mit fiktiven Erfindungen wie etwa Keenos Supersprengstoff, im Dunkeln sehen können oder als ein Opfer voll im Bild erdrosselt wird. Manche Alleingänge Charlies, z.B. in »Der Falke und das Kind« oder die Welt zu retten wie in »Der Golfstrom-Damm«, bringen ihn weit weg vom Buch- / Film-Chan. Immerhin: Andriola erschuf kein Superhelden-Opus. Charlie bleibt ruhig und weise.
So oder so musste sich Charlie für die Comicabenteuer anpassen: Milton Caniffs Geschichten lieferten Andriola viel Inspiration für die erste eigene Comic-Serie. Ein täglicher schwarz/weißer Strip von Montag bis Samstag mit je 4 Panels ist oft gut für lustige Kurzgeschichten, hier aber galt es einen Krimi oder ein Abenteuer aufzubauen und die Leser mehrere Wochen mitzuziehen. Die Sonntagsausgabe mit 3 Strips a 4 Panels in Farbe eignete sich dagegen gut für abgeschlossene kleine Erzählungen: Vier zum Start der Sonntags-Comics und später in 1- und 2-Teilern ab Herbst 1940 in denen Charlie häufig Lee von früheren Fällen erzählt und dabei immer mal Detektiv-Lektionen einbaut.
Immer wieder gibt es Assistenten für Charlie und einen Polizisten-Kollegen sogar wiederkehrend: Kirk Barrows (erinnert ein wenig an John Quincy aus „Das Haus ohne Schlüssel„).
Charlie mag kein zuschlagender Held sein, Kirk schon. Auch eine andere Rolle übernimmt dieser: Romanzen. Wollte man mit dem gutaussehenden Kerl um Leserinnen werben? Oder doch nur einen Weißen neben dem Chinesen einsetzen, wie böse Zungen meinen? Gina Lane, Kirks Flamme, tritt bereits kurz nach ihm im Sonntagscomic auf. Auch sie ist bald in einen Fall involviert und zeigt, dass die Damenwelt in Andriolas Comic samt und sonders nicht nur mit den Waffen einer Frau umgehen kann. Die beiden Helfer verabschieden sich nach »Keeno schlägt wieder zu« von Charlies Sonntagscomic und begleiten ihn künftig v.a. im täglichen Strip.
Als Lee im Herbst 1941 zu Spendensammlungen für China aufbricht, kehrt Kirk zurück, allerdings ist seine Rolle etwas kleiner geworden. Zusammen mit Charlie haut er den wenig später in eine Falle geratenen Lee raus, verschläft dann jedoch den letzten Fall. Der kam schneller als gedacht.
Nach gutem Start zirkulierten die Comics landesweit in vielen Tageszeitungen. Bis Ende 1941 sanken die Zahlen aber und als mit Kriegseintritt der USA auch 20/Fox sich von seinem einstigen Zugpferd trennte, suchte Andriola nach einem Weg sich von Charlie zu lösen. Für den Abschluss Ende Mai 1942 brachte er Lee wieder zurück und so verabschiedeten sich Vater und Sohn im letzten Sonntags-Panel ganz offiziell von ihren Lesern, gaben allerdings noch eine große Abschiedsparty im täglichen Strip der Folgetage.
Auf der schönsten Charlie Chan Website, dem Family Home, kann man alle Sonntags-Comics lesen. Dort gibt es auch das erste Jahr der Täglichen Strips. Viel Info und Download-Möglichkeiten gibts auf dem Blog zu NewsPaperComics.